am Rande notiert

Zu Besuch bei Heinrich Böll, Gabriel Garcia Marquez und Günther Wallraff – #bookupDe beim Verlag Kiepenheuer & Witsch

Am vergangenen Freitag warfen 20 elektronisch affine Leser beim bookupDE ihre Blicke hinter die dicken Mauern des Deichmannhauses gegenüber des Kölner Hauptbahnhofs, in dem seit 2008 der Verlag Kiepenheuer & Witsch residiert. Zu verdanken haben wir diese Einblicke in das Büroleben des Verlags wohl der Hartnäckigkeit Stefanie Leos, die nicht nur die Aktion des bookupDE ins Leben gerufen hat, sondern auch bei Ulrike Meier, die für die Onlinekommunikation verantwortlich ist, so vorstellig wurde, dass die gar nicht mehr ablehnen konnte. Erzählt Ulrike Meier zur Begrüßung jedenfalls schmunzelnd.

Auffällig ist an diesem Abend zwischen Hauptbahnhof und Dom ist dann doch das besondere Kölner Temperament – oder die große Begeisterung für die Bücher. Alle Verlagsmenschen, die uns erzählten über das Zustandekommen des bookups, über die Geschichte des Verlags, über die Besonderheiten der Handbibliothek, die Geschichten erzählten über das Zustandekommen dieses oder jenes Buches, über die Tücken beim Übersetzen und Drucken eines Buches, sie alle untermalen ihren Beitrag mit großer Geste. So auch Verleger Helge Malchow, der uns, begleitet von Krach und Gegröle, der vom Bahnhofsvorplatz in die Büroräume schallt, erklärt, wie wichtig der Umzug des Verlags aus einer Kölner Vorortvilla an diesen Platz „im Zentrum des Zentrums des Zentrums von Köln“ gewesen sei. Hier sei der Verlag genau richtig, unten im Gebäude die Espresso-Bar, schräg rechts der WDR, dann der Dom mit seinem Segnungen und gegenüber der Bahnhof, man könne jedenfalls jederzeit weg. Die Energie der Großstadt, die vielfältigen Möglichkeiten der Kommunikation, das Lebhafte und Quirlige aber verweisen, so Malchow, auch genau auf das Verlagsprogramm, seien Beleg dafür, dass auch „das Buch“ nicht mehr ein langsames, ein nur ruhiges Medium sei.

Malchow berichtet dann auch mit einigem Stolz über die besonderen Autoren des Verlags, der Autoren, denen der Verlag Ruf und Image verdankt, der Autoren, die prägend sind für Entwicklung des Verlags. Er nennt Heinrich Böll, der 1953 Autor des Verlages wird, Gabriel Garcia Marquez, der durch den Verlag auf dem deutschen Markt bekannt wird, und natürlich auch Günter Wallraff, der mit seinem Buch „Ganz unten“ Mitte der 1980er Jahre die Ergebnisse seiner ganz besonderen journalistischen Arbeit publiziert. Obwohl KiWi seit 2002 nicht mehr selbstständig ist, sondern zur Holtzbrinck Gruppe gehört, einer Verlagsgruppe, die neben dem Zeitverlag mit dem S. Fischer Verlag, dem Rowohlt Verlag und dem Droemer Verlag noch weitere ähnlich positionierte Verlage im Portfolio haben, macht Malchow deutlich, dass die verlegerischen Entscheidungen völlig selbstständig und unabhängig in Köln gefällt werden.

Der Gang durch den Verlag macht deutlich: Hier sind vor allem gute Kondition und gutes Schuhwerk gefragt, denn bei den langen Gängen in der fast kompletten zweiten Etage des Deichmannhauses, die sich in einem dreiviertel Kreis um einen Innenhof ziehen, kommen schnell einmal sehr lange Wege zustande. Und der beneidenswerte Blick aus dem Eckzimmer des Verlegers lässt vielleicht auch die zahlreichen Musiker überhören, die halbstündlich auf dem Bahnhofsvorplatz ihr immer gleiches, nicht unbedingt von hohem künstlerischen Können geprägtes Repertoire vortragen.

Und dann stellten uns die Lektorin Mona Lang und Monika König, die Leiterin der Herstellung, ein ganz besonderes Buchprojekt vor, nämlich „Das Schiff des Theseus“ von V.M. Straka, das aber in Wahrheit von J.J. Abrams stammt, einem Produzenten und Autor, der beispielsweise bei der Star Trek Serie mitgearbeitet hat und auch bei Star Wars, Episode VII, sowie Doug Dorst, der kreatives Schreiben unterrichtet und auch dreifacher Champion von „Jeopardy“ ist.

Beide zusammen haben sich einen Roman geschrieben, der zeigt, was nur ein Buch kann, niemals ein E-Book, weil er nämlich nicht nur eine Romangeschichte erzählt, sondern auch noch jede Menge Randbemerkungen enthält, die eine weitere Geschichte erzählen. Zwei Stundenten nämlich kommunizieren über randbemerkungen, die sie in das Buch eintragen miteinander und begeben sich so auf die Suche nach dem wahren Autor der „Schiffs von Theseus“, einer Geschichte, die 1949 publiziert wurde. Sie legen sich auch alle möglichen weiteren Informationen in das Buch, Zeitungsausschnitte, Post- und Karteikarten, Kopien, Telegramme, eben alles, was sie finden und was ihnen bei ihrer Spurensuche helfen kann. So entsteht neben der Romangeschichte eine weitere Geschichte durch die Randbemerkungen.

Dass dieses Buch, das tatsächlich aussieht wie ein aus einer Bibliothek entwendeter Schinken aus den 1940er Jahren, am Rand vergilbter als in der Mitte der Seiten, in dem tatsächlich die Randbemerkungen in Handschrift und verschiedenen Farben eingetragen sind, in dem Unterstreichungen sind wie mit Bleistift gemacht, in dem die Stempel der Bibliothek zu sehen sind, ihre Signatur und die Stempel mit den Daten der Ausleihfrist, nur mit großen Anstrengungen und auch der Begeisterung der tschechischen Drucker für dieses Projekt herzustellen ist, davon erzählt uns Monika König. Und wir halten gleich alle unsere Nase an das Buch: Und es riecht wirklich, wie ein in die Jahre gekommenes Buch riechen muss.

Beim anschließenden Fingerfood haben wir noch Gelegenheit zum Austausch – und ich kann endlich mal einige der Blogger „ganz in echt“ kennenlernen, mit denen ich mich bisher nur über die Blogs ausgetauscht habe. Und sofort entspinnen sich die schönsten Buchdiskussionen. Wie schade, dass ich am nächsten Morgen wieder früh aus dem Bett musste, um die nächste große Veranstaltung in meiner Schule zu eröffnen und deshalb der Zug so früh fuhr. Bestimmt – und hoffentlich – gibt es mal wieder eine Gelegenheit zum Plausch, vielleicht wieder bei einem bookupDE.

Und hier sind noch ein paar Bilder für den optischen Eindruck: