Flucht und Entwurzelung, Romane

Amy Waldman: Der amerikanische Architekt

Waldman_2Noch als die meisten Betrachter fassungslos auf die quasi in Endlosschleife gezeigten Bilder der brennenden und zusammenstürzenden Türme des World Trade Centers schauten, waren die ersten Stimmen zu hören, die behaupteten, dass nun nichts mehr sei wie zuvor. Tatsächlich wurden fast über Nacht die über viele Jahre, vielleicht sogar Jahrhunderte, erkämpften Bürger- und Freiheitsrechte ganz ohne die demokratisch übliche öffentliche Debatte zugunsten einer vermeintlich erhöhten Sicherheit eingeschränkt und schon ein paar Monate später zogen erste Soldaten in den Krieg gegen den Terror. Und in das Bewusstsein der Gesellschaft drang ein Gift das Vertrauen zerstört, Respekt und Toleranz.

Und so merkt auch Mo Khan schon eine Woche nach den Anschlägen, dass nichts mehr ist, wie es war. Von den Anschlägen hat er aus dem Radio erfahren, Mo ist Architekt bei dem renommierten New Yorker Architekturbüro ROI und betreut im September 2011 den Bau des neuen Theaters in Santa Monica. Während in den Tagen nach den Anschlägen immer sicherer wird, dass Muslime für die Taten verantwortlich sind, beobachtet er sich dabei, wie er auf der Baustelle keine klaren Anweisungen mehr gibt, sondern immer freundlicher, immer devoter wird. Bei seiner Rückreise nach New York wird er am Flughafen, wohl wegen seines Vornamens Mohammed, behandelt wie ein Verdächtiger. Er wird in einem fensterlosen Raum befragt, immer dieselben Fragen, mehrfach wiederholt: ob er beweisen könne, dass er Architekt sei, in welche Länder er in letzter Zeit gereist sei, ob er Amerika liebe, welche Meinung er zu seiner Religion habe, ob er Extremisten kenne. Seine Tasche wird ausgiebig durchwühlt, zuhause packt er verknitterte Hemden aus, Shampoo und Zahnpasta sind aufgeschraubt und nicht richtig verschlossen worden, nun sind alle Toilettenartikel verschmiert.

Aber diese Verbitterung ging unter in der Trauer, die überall um ihn herum herrschte. Die Stadt war bis auf die Grundfesten erschüttert – die Luft voller Staub, die Menschen aschfahl, der Ort des Anschlags eine schwärende Wunde, die man auch dann spürte, wenn man sie nicht sah. Eines Abends, kurz nach seiner Rückkehr ging Mo zu Fuß zum Ort der Zerstörung. Das Mondlicht beleuchtet einen seltsam feinen Staub, der Blätter und Äste überzog, sein Fuß trat auf einen Fetzen Papier mit angesengtem Rand. (…) Ein Flickenteppich der Vermissten – Farbfotos von Männern in Abendanzügen, von perfekt geschminkten Frauen – überzog Zäune und Baustellenabsperrungen, aber die Straßen waren leer, und zum ersten Mal, soweit er sich erinnern konnte, hörte er in New York den Klang seiner eigenen Schritte.(52)

Für ihn ist befremdlich und erschreckend, was auch rund um ihn, den Muslim, geschieht, denn er ist und fühlt sich als Amerikaner, sein Glaube ist ererbt und bedeutet ihm nicht viel, kaum einmal ist er in einer Moschee gewesen. Vielmehr hat er den typischen amerikanischen Karriereweg gewählt, hat die besten Schulen besucht, strebt eine Karriere an, möchte als Architekt in Amerika anerkannt werden. Aber er wird nachdenklich in dieser Zeit und er kann kaum vermeiden, Ereignisse, die ihm widerfahren, im Kontext der Anschläge zu deuten, so wie er es vorher sicherlich nicht gemacht hätte: Warum wird er, so wie alle Kollegen es auch erwartet haben, nun plötzlich nicht befördert und warum soll er als Vertreter seines Büros, das sich kaum noch an öffentlichen Ausschreibungen beteiligt, nach Kabul reisen, wo die amerikanische Botschaft neu gebaut werden soll?

Zwei Jahre später nimmt Mo am Wettbewerb zur Entwicklung eines Konzeptes für die Gedenkstätte teil, die auf dem Gelände errichtet werden soll, und reicht das Konzept eines Gartens ein. Davon ist Claire Burwell ganz besonders angetan und sie schafft es tatsächlich auch, diesen Vorschlag in der Jury durchzusetzen, obwohl die anderen Jurymitglieder, allen voran die Künstlerin Ariana, ein anderes Konzept präferieren. Die Namen derjenigen, die ihre Entwürfe eingereicht haben, sind  der Jury nicht bekannt, es soll nur der Entwurf, ganz unabhängig von der Person, beurteilt werden. Claires Stimme hat deshalb so großes Gewicht, weil ihr Mann im World Trade Center getötet worden ist und sie die Familien der Hinterbliebenen vertritt und diesen Familien kommt in der Gemengelage um die Gedenkstätte eine große Bedeutung zu.

Als die Jury sich dann endlich in einer offenen Abstimmung für den Entwurf des Gartens ausgesprochen hat, öffnet Paul Rubin, der Vorsitzende der Jury, den versiegelten Umschlag. Paul Rubins Gesicht versteinert, als er den Namen des Gewinners liest. Und als das Blatt dann in der Jury von Hand zu Hand wandert, sind Kommentare zu hören von „Interessant.“ über „Ach du meine Güte!“ bis zu „Was für eine gottverdammte Scheiße ist das denn? Es ist ein Muslim!“

Die Diskussion, die nun innerhalb der Jury losbricht, lässt schon einmal im Kleinen erahnen, was in den nächsten Tagen und Wochen in der Öffentlichkeit passieren wird: Claire tritt vehement für die aufgeklärt-liberalen Ideale des Vertrauens in den Gewinner und der Toleranz ihm gegenüber ein, Willner, der Vertreter der Gouverneurin, bemüht an dieser Stelle schon sämtliche Vorbehalte und Vorurteile, die sich mit dem Namen Khans assoziieren lassen und Paul Rubin bittet um Besonnenheit und darum, keine Informationen an die Presse weiterzugeben.

Natürlich gelangt der Name des Gewinners über Nacht an die Presse, ausgerechnet an Alyssa Spier, Journalistin bei den Boulevardblättern New Yorks. Und nun treten alle Gruppen und Gruppierungen auf, die sich, egal ob berechtigt oder nicht, bemüßigt fühlen, an der Debatte teilzunehmen: natürlich die Familien, die, im Gegensatz zu Claire, empört sind über den Juryentscheid, die Vereinigung der Muslime in den USA, selbst innerlich gespalten, die nun für Khan votiert, ihn aber auch für ihre Zwecke einspannen will, die Politik, vertreten durch die Gouverneurin, die vor allem an den Ausgang der nächsten Wahlen denkt, die gelangweilten Hausfrauen von „Save America from Islam“ und die Journalisten der unterschiedlichen Medien, durchaus auch die der seriösen, allen voran Alyssa Spier, die vor keinem Gerücht, vor keiner Schlagzeile zurückschreckt und den Hass gegen alles Islamische ordentlich anstachelt.

Es entsteht eine Art Pokerspiel zwischen den Beteiligten, die alle nur ihre eigenen Interessen im Blick haben und dazu intrigieren, die anderen vorführen, bluffen, diffamieren. Schritt für Schritt, Gedanke für Gedanke, Handlung für Handlung wird so eine Eskalationsspirale der Gewalt in Gang gesetzt, bei der schließlich die einzelnen Beteiligten, wenn überhaupt gerade noch das Gesicht wahren können, bis es schließlich eine Tote gibt. Das Spiel kann nun niemand mehr gewinnen, der ein oder andere kann gerade mal sein Gesicht bewahren.

Amy Waldman thematisiert in ihrem Roman die Konsequenzen einer aufgeheizten Atmosphäre, in der Grenzen moralischen Urteilens und Handelns ausgelotet werden. Und sie wirft wichtige Fragen auf: Müssen sich alle Muslime von den Anschlägen distanzieren und sich entschuldigen. Muss Mohammed Khan im Besonderen sich von den Anschlägen distanzieren und sein Konzept des Gartens erklären, um es so vom Vorwurf, es handele sich um einen islamischen Garten, der doch der Garten der Märtyrer sei, zu befreien? Und anders: Welche Achtung muss der Trauer der Betroffenen, vielleicht auch der Trauer einer Nation, entgegengebracht werden, welche Rücksichtnahmen sind zu treffen? Und weiter: Was kann eine Gesellschaft tun gegen die Angriffe, die aus ihrem Inneren, nämlich von extrem patriotischen Gruppen und von der Presse, auf Tugenden wie Moral, Toleranz und Respekt geführt werden? Wer übernimmt die Verantwortung, diesen Konflikt zu mäßigen, zu moderieren? Welche Verantwortung haben die Politiker?

Und so ist Amy Waldman ein sehr lesenswerter Roman gelungen, in dem ihre Protagonisten, die durchaus als individuelle Charaktere mit eigenen Biografien und deren Brüchen gezeichnet sind, in vielen und langen Dialogen ihre Argumente austauschen und so und natürlich auch durch ihre Handlungen das Geschehen immer weiter vorantreiben. Dabei wird der Leser selbst zum Spielball der aus unterschiedlicher Richtung kolportierten Informationen und Argumente und weiß nicht genau, wie er sich in diesem Konflikt entscheiden soll, auf welcher Seite er steht. Und auch er verliert das Vertrauen, fängt an Gespenster zu sehen, zu verdächtigen, zu misstrauen. Zum Glück gewährt Amy Waldman ihm am Ende einen Blick auf alle beteiligten Personen 20 Jahre nach den Ereignissen und so kann auch der Leser, quasi aus der Distanz, seine Position, seine Haltung überdenken. Und er kann sehen, wie tief das Gift des Misstrauens in die Gesellschaft eingedrungen ist.

Aber der Fahnenpark, der letztendlich, nach einer weiteren Ausschreibung, als Gedenkstätte errichtet worden ist, überzeugt dann wohl niemanden mehr.

Eine weitere Rezension gibt es bei literaturen und eine kritischere Besprechung auf buzzaldrins blog, auf die auch jetzt erst aufmerksam geworden bin, als hätte mein Reader sie mir verheimlicht, wahrscheinlicher aber war ich wegen Diesem und Jenem unaufmerksam.

Amy Waldman (2013): Der amerikanische Architekt, Frankfurt am Main, Schöffling & Co Verlagsbuchhandlung GmbH

4 Kommentare

  1. skyaboveoldblueplace sagt

    Dieses Buch hatte ich schon mal in der Hand, habe es dann aber zugunsten von Heim schwimmen erst mal in der Buchhandlung meines Vertrauens gelassen. Nach Deiner Besprechung möchte ich es aber nun unbedingt lesen.
    Dass die Welt nach 9/11 in vielerlei Hinsicht komplexer und das menschliche Miteinander, tja, man könnte sagen unwohnlicher geworden ist, das beschäftigt mich schon eine Weile.

    Ein kleines Beispiel für die fatalen Folgen und Intoleranzen, die sich da teilweise klammheimlich ergeben haben: Ein wirklich netter, umgänglicher Nachbar, hat auf seinem Auto einen Aufkleber mit dieser Botschaft: „Science flies you to the moon / Religion flies you into buildings“

    Ja mei, wenn ich das weiterdenke, dann ist die zweite Zeile eindeutig mit 9/11, Al Quaida und dem Islam konnotiert und es ist nur ein ganz kleiner Schritt zu der Gleichung Islam = Terrorismus.
    Die erste Zeile dazu genommen und mit aller Konsequenz weitergedacht heißt die Gleichung sogar Religion = Terrorismus.
    Ich vermute und hoffe, der Nachbar will weder das eine noch das andere damit sagen, aber ich glaube, genau so passieren die Assoziationen unterschwellig in den Köpfen von vielen Menschen. Ist ja auch einfach.
    NEIN, ist es eben nicht – und weil ich Deiner Besprechung entnehme, dass es in dem Buch von Amy Waldman unter anderem darum geht war Deine Besprechung für mich ein wichtiger Hinweis.

    Liebe Grüsse
    Kai

    • Lieber Kai,
      das ist ja nun mal ein ganz übler und sehr erschreckender Aufkleber, von dem Du da erzählst. Er passt aber wirklich sehr gut zu Amy Waldmans Roman, weil diese Schere in den Köpfen, und zwar auf beiden Seiten, in dieser Ausgangskonfliktlage sofort vorhanden ist. Und das wird sehr eindrücklich für den Architekten Mo dargestellt, der ja selber anfängt, sich mit den Terroristen „in einen Topf“ zu werfen, obwohl ihm ganz klar ist, dass weder die Terroristen noch er selbst „den Islam“ repräsentieren.
      Amy Waldman zeigt vor allem an Claire, ein wenig auch an Mo, sehr eindringlich, wie diese Vorurteilsfalle selbst bei denjenigen Menschen irgendwann zuschnappt, die im Grunde sehr liberale Werte vertreten. Und die extremen amerikanischen Positionen sind auch dabei und die machen einen wirklich fassungslos. Auch wenn es nicht immer die reine (Unterhaltungs-)Freude gewesen ist, dieses Buch zu lesen: es hat sich wirklich gelohnt und da es so komplex ist, lohnt es sich auch, es ein zweites Mal zu lesen.
      Und nebenbei bemerkt: der Teil, der sich um diese Journalistin Alyssa Spier dreht, erinnert mich sehr an „unseren“ ZEITUNGS-Journalisten Töttges aus Bölls „Katharins Blum“. Die Arbeitsweise ist so gleich. Und wie bei Böll hat Amy Waldman sich auch viel Mühe bei den Namen ihrer Figuren gegeben. Soviel zu den Parallelen.
      Ich wünsche Dir viel Lese-„Vergnügen“ mit dem Roman und bin sehr gespannt auf Deine Besprechung!
      Viele Grüße
      Claudia

      • skyaboveoldblueplace sagt

        Liebe Claudia,
        nach Deiner Antwort auf meinen Kommentar bin ich noch gespannter – und tatsächlich liegt das Buch schon bei mir auf dem Tisch und wird wohl erstmal den Padura verdrängen, einfach, weil das Thema so wichtig wenn auch grauenhaft ist.
        Ich erinnere mich noch gut an die Schullektüre der Katharina Blum, an Töttges und die ZEITUNG und vor allem an die Hysterie um das Buch und Heinrich Böll – mit der Aussage dieses Wanderpräsidenten als satirischem Höhepunkt. Der warnte die Bevölkerung damals mit dem schönen Satz:
        „Ich fordere die ganze Bevölkerung auf, sich von der Terrortätigkeit zu distanzieren, insbesondere auch den Dichter Heinrich Böll, der noch vor wenigen Monaten unter dem Pseudonym Katharina Blüm ein Buch geschrieben hat, das eine Rechtfertigung von Gewalt darstellt.“
        Und an die Reaktion vom wunderbösen Klaus Staeck. Ich hoffe, man kann den Link öffnen:
        http://www.europeana.eu/portal/record/2022026/11088_DA22383C_F55D_4188_9B63_87A1F5F54350.html?start=2&query=Prof.+Carstens+reitet+für+Deutschland&startPage=1&rows=24
        Irgendwie hört das nie auf. Vielleicht liegt es ja doch an den Menschen…
        Nächtliche Grüsse
        Kai

      • Lieber Kai,
        da hast Du aber die Böll-Lektüre und alles rundherum noch sehr präsent vor Augen! Teile der Presse schaffen es tatsächlich sehr gut, immer wieder die sowieso schon existrierenden Ressentiments in der Bevölkerung zu bedienen. Und die werden ja auch immer wieder aufs schönste genährt; wir sehen es gerade wieder an der Diskussion um den Autor Hamed Abdel Samad. Da fällt es sicher dem ein oder anderen schwer zu differenzieren. Und die angeheizte Stimmung in der 1970er Jahren um den deutschen Terroroismus zeigt ja auch ganz deutlich, wie schnell man so eine öffentliche Meinung noch zusätzlich befeuern kann.
        Viele Grüße, Claudia

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